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Letzte Aktualisierung:
23.06.2014

ÖGD zwischen 1900 und 1950
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 Der Öffentliche Gesundheitsdienst in Bayern zwischen 1900 und 1950

Im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts bestand im ÖGD Bayerns eine Dominanz der staatl. Eingriffsverwaltung im Sinne der klassischen Gesundheitspolizei und ihres Vertreters des Bezirksarztes.

Einige Kommunen außerhalb Bayerns, insbesondere in den bevölkerungsreichen Gebieten Westpreußens, stellten zu Beginn des Jahrhunderts zunehmend Stadtärzte ein und bauten kommunale Gesundheitsämter in den großstädtischen Ballungsgebieten auf, die vor allem von sozialdemokratisch und linksliberal orientierten Kräften getragen waren.

Diese Entwicklung setzte in Bayern erst etwa zwanzig Jahre später und nur vereinzelt ein.

Die Ausdifferenzierung und Spezialisierung der städtischen Gesundheitsfürsorge zeitigte vor allem vermehrte Einrichtungen der Leistungsverwaltung als Fürsorge- und Beratungsstellen, speziell im Bereich der Säuglings- und Mütterberatung, der Tuberkulose-, der Trinker-, der Krüppel- und der Geschlechtskrankenfürsorge.

In der Weiterentwicklung des Deutschen Reiches zu einem Sozialstaat kam besonders der Zeit des 1. Weltkrieges mit dem Aufbau der Kriegsfürsorge eine Art Laboratoriumsfunktion zu.

Indes begründete erst die Weimarer Reichsverfassung den umfassenden Wohlfahrtsstaat, in dem sie die Erhaltung der Gesundheit und der Arbeitsfähigkeit, Maßnahmen zum Schutze der Jugend, von Mutterschaft und zur Vorsorge gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter, Schwäche und Wechselfälle des Lebens in den Verfassungsrang erhob. So entwickelte sich auch die auf Einbeziehung möglichst vieler Bevölkerungsanteile bedachte Sozialhygiene erst in der Weimarer Republik von einer Außenseiter- zu einer Leitwissenschaft. Ihre unmittelbare Konkurrenz, die vorwiegend auf Ausgrenzung „minderwertiger“ und „artfremder“ Bevölkerungsanteile bedachte Rassenhygiene konnte sich im Laufe der 20er Jahre auch in Bayern erfolgreich institutionalisieren.

Im ländlichen Bereich blieb aber der staatliche Bezirksarzt bis 1935 eine Einmannbehörde.

Nach dem Aufschwung der kommunalen Gesundheitsämter in der Weimarer Republik bedeutete die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten eine Zäsur.

Mit dem „Gesetz über die Vereinheitlichung des Gesundheitswesens“ (GVG) von 1934 wurde der ÖGD zentralisiert, mit wenigen Ausnahmen verstaatlicht und dem Reichsinnenministerium unterstellt. In Bayern blieben nur die Gesundheitsämter in München, Nürnberg und Augsburg in kommunaler Hand. Durch das GVG erfuhr die Organisation des ÖGD eine grundlegende Umwertung.

Die von den Nazis verordnete „Erb- und Rassenpflege“ stellte eine völlig neue Aufgabe dar. Sukzessive wurde das Gesundheitsamt bis zum Kriegsbeginn zu einem Selektionsapparat im Sinne der „Auslese“ aller „Minderwertigen“ und „Artfremden“ umfunktioniert und arbeitete kräftig mit an der Realisierung eines Apartheidstaates nach Innen.

Millionen von Menschen gerieten ins Fadenkreuz der „Erbpolizei“. Diese inhumane Gesundheits- und Sozialpolitik führte im Reich zu etwa 400.000 Opfern von Zwangssterilisierungen, Tausenden von Schwangerschaftsabbrüchen sowie Zehntausenden von Heiratskandidaten, denen der Hafen der Ehe aus „erbpflegerischen“ Gründen verschlossen oder zumindest staatliche Förderung verwehrt blieb und kulminierte in der administrativen Zuarbeit zum organisierten Krankenmord während des Krieges.

In der Abwicklung des Krankenmordes tat sich eigenmächtig insbesondere die Gesundheitsabteilung im bayerischen Innenministerium mit dem „Hungerkosterlaß“ vom 30.11.1942 an die Leiter der bayerischen Heil- und Pflegeanstalten hervor.

Nach Kriegsende befürchteten die Amerikaner angesichts der desolaten infrastrukturellen Zustände und des unaufhaltsamen Zustroms von Flüchtlingen und Kriegsheimkehrern und der Hundertausende noch in Lagern gehaltenen „Displaced Persons“ den Ausbruch von Hungersnot und Seuchen. Deshalb wurden die meisten der sich noch im Dienst befindlichen Amtsärzte weiter beschäftigt und mit seuchenhygienischen Präventionsmaßnahmen betraut.

Erst nach der Implementierung einer provisorischen Bayerischen Staatsregierung und einer daraus resultierenden Konsolidierungsphase staatlicher Politik begann ab März 1946 die durch das Befreiungsgesetz kodifizierte Entnazifizierung.

Sie führte zu einer vorübergehenden personellen Schwächung der Gesundheitsämter, da der NS-Organisationsgrad der Amtsärzte und ihrer Mitarbeiter sehr hoch war.

Der Ausbruch größerer Epidemien konnte dennoch verhindert werden.

Spätestens 1949 wurden viele der bisher vom öffentlichen Dienst ausgeschlossenen „Mitläufer“ oder „Minderbelasteten“ ohnehin wieder in den Staatsdienst übernommen.

Insgesamt gelang dem Bayerischen ÖGD unter Rückbesinnung auf seine gesundheitspolizeilichen Tugenden bereits in den ersten 5 Nachkriegsjahren eine erstaunliche Wiederaufbauleistung. Notgedrungen wurden auch fürsorgerische Maßnahmen wieder intensiviert, die jedoch häufig noch beeinflusst blieben vom Gedankengut der „Erb- und Rassenpflege“, das, begrifflich den demokratischen Gepflogenheiten der Bundesrepublik nur notdürftig angepasst, als „qualitative Bevölkerungspolitik“ bis weit in die 60er Jahre hinein virulent blieb.

Insofern war der Bayerische ÖGD in den Nachkriegsjahren durch eine erstaunliche inhaltliche und personelle Kontinuität  geprägt.

Das Organisationsgesetz GVG zementierte diesen Status in der jungen Bundesrepublik zumindest strukturell bis weit in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts.

Eine Aufarbeitung der Rolle des ÖGD in der NS-Zeit fand bis in die 90er Jahre hinein nur vereinzelt statt. Dafür feierte man in den 50er und 60er Jahren vor allem, die 12 Jahre zwischen 1933 und 1945 ausblendend, die eigenen großen Leistungen der Vor- und Nachkriegszeit und lamentierte unisono über das schleichende Abgleiten in die drohende Bedeutungslosigkeit nach Gründung der Bundesrepublik.

Weiterführend:
Das Gesundheitsamt im Nationalsozialismus
Denkschrift von Dr. Johannes Donhauser, MOR, Gesundheitsamt im Landratsamt Neuburg-Schrobenhausen

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